Das Normalste der Canidenwelt - Die natürliche Aggression vom Hund
Friedrich II (1712-1786)
Es gibt wohl kein anderes Verhalten des Haushundes, welches in den vergangenen Jahren, bewusst oder unbewusst, in Ermangelung fehlender Fachkompetenz durch Sensationsjournalismus und Politik so oft falsch ausgelegt und dargestellt wurde, wie es bei seinem Rudelverhalten, genauer, der natürlichen Aggression der Fall ist. Diesbezüglich wurde beispielsweise die Gefährlichkeit von Hunden an deren Rassezugehörigkeit festgemacht und in völlig absurden Anlagehundeverordnungen, besser bekannt als so genannte ”Kampfhundeverordnungen”, eingebracht. Zu diesem, wissenschaftlich nachweislich widerlegten, Blödsinn kommen wir später. Inzwischen muss man ja aufpassen, dass nicht ein bellender Hund ratzfatz pauschal als aggressiv eingestuft wird.
In der Tat besitzt jeder Haushund ein individuelles natürliches Aggressionspotential, welches man aber unbedingt vorher verstehen sollte, bevor man glaubt, es annähernd bewerten zu können. Mit den folgenden Abschnitten, versuche ich zu verdeutlichen, dass es zu einem nicht unerheblichen Teil in der Verantwortung des Menschen selbst liegt, die natürliche Aggression des domestizierten Haushundes zu formen und zu kontrollieren. Und hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich bei diesem Hund um einen Welpen, oder auch um einen erwachsenen gebrauchten Hund handelt - in jedem Fall ist diesbezüglich sein unmittelbares menschliches Umfeld gefragt und gefordert. Und sollte Euch das nächste Mal ein fremder Hund anbellen, nachdem Ihr z.B. gedankenlos frontal auf ihn zugeradelt seid, dann stempelt ihn nicht gleich als aggressiv ab, sondern hinterfragt Euer eigenes Verhalten. Vielleicht kommt Ihr dann auch zum Schluss, dass Ihr wahrscheinlich selbst dieses durchaus natürliche Verhalten des Hundes ausgelöst habt, und er daraufhin lediglich aggressiv kommuniziert hat, und Euch keinesfalls blutgierig ”anfallen” wollte
Steigen wir in das Thema ein, und stellen als erstes die Frage -
Ja was ist denn nun eigentlich ein Hund ?
Nein, ich meine nicht ein vierbeiniges höheres Säugetier mit Fell außen herum, zwei Enden, am einen Ende ein Schwanz, an der anderen Seite ein Kopf mit großen Ohren, Augen, Nase und riesigem Kiefer,
Gevatter Hein zum Thema Hund
nein, ich meine viel mehr sein Wesen und Charakter als solche, welche das Individuum Hund ausmacht. Denn es ist, wie bereits erwähnt wurde, unbestritten, das es kaum ein anderes Tier gibt, welchem vom modernen und aufgeklärten Menschen so viele falsche Eigenschaften und Charaktereigenschaften ”angedichtet” werden, wie es bei unserem rezenten Haushund der Fall ist.
Über den tatsächlichen Beginn der Domestikation des Haushundes wird auch heute noch ”gestritten”. Es steht jedoch fest, dass vor ca. 35000 Jahren mit den Menschen ein morphologisch wolfsähnlicher Hund (Knochenfunde) in Europa ”einwanderte”. Allerdings ist ebenfalls unbestritten, dass unsere Ur- Ahnen dieser Zeit kaum dazu in der Lage waren, ein solch hoch entwickeltes Tier wie den Wolf zu domestizieren (der war zu dieser Zeit schon ”etwas weiter” . Mit der späteren Domestikation wurden dann die Hunde entsprechend der Anforderungen des jeweiligen Nutzbedarfs (Schutz, Nahrung, Jagd) gezüchtet. Wissenschaftlich gesichert ist die Tatsache, dass es aufgrund dieser Domestikation des Hundes durch den Menschen, keine andere Spezies gibt, welche eine so ausgebildete Interpretationsfähigkeit menschlicher Zeichen besitzt, wie es beim Haushund der Fall ist. Sucht man nun trotz erfolgter Domestikation ein natürliches Gefahrenpotential im Hund, so muss entsprechend die Mensch- Hund Beziehung näher betrachtet werden. Bei dieser Betrachtung stütze ich mich u. a. auch auf die Betrachtungen und Ausführungen bezüglich der Gefährlichkeit von Hunden bei der Kampfhundproblematik der Ethologin Frau Dr. Dorit Feddersen-Petersen, Christian-Albrechts-Universität, Kiel.
Natürliche Aggression des Hundes (Vererbung)
Trotz Domestikation durch den Menschen ist der Hund nach wie vor unverändert auf den hierarchisch strukturierten Gruppenverband Rudel (Rudelverhalten) geprägt. Dieses Rudel beschreibt in der Canidenwelt eine geschlossene Gruppe von Individuen mit einer, gegenüber dem einzelnen Individuum gruppenbedingt gesteigerten Effizienz. Das Rudel stellt oftmals einen Familienverband (natürliche Erhaltung der Art) mit eineindeutig definierten Positionen und Aufgaben jedes einzelnen Individuums dieser Gruppe dar. Wurde nun ein Hund von Menschen adoptiert, so erkennt der Hund darin keine spezielle Mensch- Hund Beziehung, sondern er erkennt schlichtweg ein Rudel. Genetisch bedingt wird er nun versuchen, sich dem Rudel anzuschließen. Dabei wird er auch seinem natürlichen Instinkt folgen, und seine Anforderungen an das Rudel entsprechend einfordern, und, im schlimmsten Fall damit beginnen, das Rudel entsprechend seiner Vorstellungen (Effizienz der Individuen - Infragestellung der Hierarchien) zu gestalten und zu formen. Dementsprechend besitzt der Hund ein natürliches artspezifisches Aggressionspotential. Jetzt kommt natürlich der große
Aha - Effekt
Mitnichten, denn auch alle anderen Spezies des Tierreiches besitzen solch ein natürliches Aggressionspotential. Der Trigger dieser Aggression beim Hund erfolgt über einen entsprechenden Auslösereiz aus der Umwelt. Somit ist aggressives Verhalten ein ursachenbedingtes Verhalten, und wird nicht über Generationen vererbt. Genetisch vererbt wird lediglich ein natürliches Reaktionsverhalten (nebst Triggerschwelle) auf diverse Umweltreize. Verhaltensbiologisch betrachtet spielt hier vor Allem die Prägungsphase des Hundes eine entscheidende Rolle. Diese sensible Phase der Jugendentwicklung findet während der 3. - 18 Woche statt. Hierbei erlernt der junge Hund die Spielregeln im Zusammenleben eines Familienverbandes, und dabei natürlich auch zum erstem Mal den Umgang mit seinen natürlichen aggressiven Instinkten (Droh-, Angriffs-, Verteidigungsstrategien), welche vor allem auch den essentielle Konfliktlösungen im Gruppenverband Rudel dienen. Die Prägung findet ausschließlich in diesen ersten Lebenswochen des Hundes statt. Hierbei lernt der Hund, seine natürlichen Instinkte hinsichtlich Sozialverhalten, Reaktion auf Umweltreize sowie hierarchischer Rangordnung zu ”sortieren”. Je mehr er in dieser Phase von seinem Rudel gefordert wird, desto mehr erlernt er in dieser kurzen Zeit (nebenbei entwickelt sich damit auch seine Lernkapazität- u. Fähigkeit). Die Folgen dieser Prägung bestimmen sein künftiges Leben, und sind später nur schwer zu korrigieren. Als Hausnummer für die Bedeutung des künftigen Verhaltens des Hundes (incl. Reaktion auf Umweltreize) kann man für den entsprechenden Quotienten Vererbung/Prägung (3..18 Woche) in etwa ein Verhältnis hinsichtlich einer Wertigkeit von 3/7 annehmen (Wobei ein höherer Wert für höhere Bedeutung steht).
Die grundlegende Prägung des Hundes erfolgt durch seine Sozialpartner:
- Elterntiere;
- Wurfgeschwister;
- Ältere Rudeltiere (z.B. Halbwüchsige);
- Züchter;
- Adoptiveltern.
Es gilt ausnahmslos: |
So lässt sich das wohl das diesbezüglich bekannteste Beispiel Deutscher Fach- u. Sachkompetenz aus Politik und Verwaltung, das landläufig als sog. KAMPFHUNDEVERORDNUNG bekannte Dogma, welches die Gefährlichkeit von Hunden u. a. an deren Rasse festmacht, schlichtweg ad absurdum führen. Es gibt bis dato keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass bestimmte Hunderassen ”von Haus aus” aggressiver als andere Rassen sind !
Doch so lange der ”Staatssäckel” dank solch sinnlosen Verordnungen durch verantwortungsbewusste Hundehalter weiterhin brav gefüllt wird (die eigentlichen zweibeinigen ”Hund-zum-Beschädigungskampf-degenerieren- Macher” trifft diese Verordnung nämlich nicht), und die breite Masse der Bevölkerung in scheinbarer Sicherheit vor tatsächlich gefährlichen Hunden gewogen wird, so lange wird diese Verordnungen wohl weiterhin bestehen.
Natürliche Aggression des Hundes (Sozialverhalten)
Aggressives Verhalten (lat. aggredi - Angreifen, in Angriff nehmen, darangehen) steht eng im Zusammenhang mit Angriffs-, Flucht- und Verteidigungsverhaltensweisen des Hundes. Geprägt auf die Sozialstruktur Rudel, ist der Hund auf die Kooperation in diesem hierarchischen System angewiesen, um seinen individuellen Nutzen (Erfolg z.B. Futteranteil) zu haben. Damit ist ein Konkurrenzverhalten unter den Individuen einer solchen Gruppe durchaus Normalität. Das Gleiche gilt auch uneingeschränkt für die Rudelkonfiguration Mensch- Hund. Das diesbezüglich signifikanteste Verhalten von Wölfen und Hunden ist ein ausgeklügeltes Droh- u. Kampfverhalten, welches gemeinsam mit dem Zusammenleben- und arbeiten der Individuen dieser Gruppe zur Wahrung einer sozialen Hierarchie führt.
El Harrybo und ein fremder "junger Wilder"
Man kann dieses Droh- u. Kampfverhalten durchaus als aggressive Kommunikation sehen. Allerdings ist der Kampf nur eine höhere Aggressionsstufe innerhalb dieser komplexen und ritualisierten Kommunikationsform. Stehen sich nun zwei streitbare Hunde gegenüber, so kommt es zuerst zum Austausch sogenannter Kommentkampfaktionen. Bei dieser ritualisierten Kampfform wird durch die Kontrahenten eine, für beide i.d.R. vorhersehbare und festgelegte, Abfolge von Verhaltensweisen eingesetzt. Ziel hierbei ist es, den Gegner aufgrund der Zurschaustellung der eigenen Kraft, des eigenen Status u. der Geschicklichkeit zu beeindrucken, ohne dass es zu Verletzungen kommt. Studien an wild lebenden Wölfen haben diesbezüglich die gängige These dass ”Nur der Stärkste überlebt” eindeutig widerlegt. Bereits die Evolution hat uns deutlich vorgeführt, dass langfristig stets nur die am besten angepassten (Umwelt, Konkurrenz) Arten überleben. Hinsichtlich des Aggressionsverhaltens von Wölfen, und demzufolge auch dem von Hunden, lässt sich hier nun eine einfache Brücke schlagen. Jede aktive Kampfhandlung bedeutet für alle beteiligten Tieren ein erhebliches Verletzungsrisiko sowie eine körperliche Schwächung. Daraus resultiert möglicherweise eine Gefährdung des gesamten Rudels. Wer jedoch die rituelle Darstellung einerseits von Kraft u. Überlegenheit, andererseits auch der Stressminderung und Beschwichtigung beherrscht, der erhält sich in logischer Konsequenz seine Kraft, Konstitution und körperliche Unversehrtheit, sowie seinen Rang mit den damit verbundenen Ressourcen. Bleibt jedoch eine Aktion ohne Erfolg (Gegner weiterhin unbeeindruckt), so kann der Kommentkampf in die höheren Stufen bis hin zum Beschädigungskampf eskalieren, was jedoch von zahlreichen Faktoren abhängig ist (z. B. Motivation-, aktuelle Physis und Psyche-, Charakter der beteiligten Individuen usm.).
Wie bereits erwähnt, beinhaltet dieses aggressive Kommunikationsritual ebenfalls Verhaltensweisen, welche dem Stressabbau des Individuums bzw. der Beschwichtigung des als überlegen anerkannten Gegners dienen. Grundsätzlich führt der Hund in einer Bedrohungssituation (Stressreaktion des Körpers) eine stete Abwägung zwischen Sinn und Nutzen (z. B. Wertigkeit von Ressourcen wie z. B. Futter) relativ zum Risiko der eigenen körperlichen Schädigung durch einen eventuellen Kampf durch.
Natürliche Aggression des Hundes (Bedrohungsfall)
Machen wir uns unbedingt bewusst, das der Grad der Bedrohlichkeit einer x-beliebigen Situation, welchen der Hund dieser Situation zuordnet, nicht unbedingt unserer menschlichen Bedrohungsvermutung entspricht - wenn der Hund diese Situation aus seiner Sicht als bedrohlich bewertet (und das können nach unseren menschlichen Maßstäben völlig banale und harmlose Situationen sein), dann wird sein natürliche Aggressionsverhalten ausgelöst.
Im folgenden möchte ich anhand eigener Erfahrungen das diesbezügliche Verhalten unseres Hundes kurz nach der Übernahme vom Tierschutz heranziehen. Verglichen zum heutigen Tag, war Harry zu dem damaligen Zeitpunkt sowohl physisch als auch psychisch ein vollkommen ”anderer” Hund, dessen Verhalten durch einen schlechten Gesundheitsstatus, völliger Verunsicherung aufgrund einem fehlenden Vertrauensverhältnis zum unmittelbaren menschlichen Umfeld, völlig unbekannter Umgebung und fehlenden Kenntnissen über Abläufe und Hierarchien, und nicht zu vergessen einer fehlenden Ausbildung, bestimmt wurde. Demzufolge war er zu diesem Zeitpunkt selbst mit vielen ganz banalen alltäglichen Situationen, vollkommen ”überfordert”.
Ein typisches Szenario, welches uns lange Zeit ”beschäftigt” hat - Ein unbedarfter Fahrradfahrer radelt nahezu frontal auf einen angeleinten (leinengeführt wäre zu diesem Zeitpunkt eine übertriebene Darstellung gewesen) Hund zu.
Ein Hund im o. a. Zustand, kann diese Situation nicht einschätzen. Die annähernd frontale Annäherung wird als individuelle Bedrohung eingestuft (artspezifisches natürliches Verhalten). Der Fahrradfahrer erreicht und unterschreitet kontinuierlich die Fluchtdistanz des Hundes.
Entscheidungsfindung des Hundes auf distanzierte Bedrohung
Fühlt sich der Hund bedroht, so hat er prinzipiell die folgenden Möglichkeiten, auf diese Bedrohung zu reagieren:
Je nach Charakter und Analyse der Effizienz wird der Hund eine Flucht (Wiederherstellung einer sicheren Distanz zur erkannten Bedrohung) in Erwägung ziehen. Da er angeleint ist, und der Radfahrer sich relativ schnell nähert, wird er diese Wahl jedoch nicht treffen.
Es gibt wenige Hunde, die in dieser Situation ”Erstarren” würden. Erstarren ist im Tierreich nicht unbedingt eine typische Verhaltensweise eines Beutegreifers. Das Erstarren dient eher dazu, dass ein Tier vom Beutegreifer bzw. der Bedrohung optisch nicht wahrgenommen wird. Der Hund wird aufgrund der geringen Distanz des Fahrradfahrers und dessen steten Annäherung auch diese Entscheidung nicht treffen.
Gelegentlich greift der Hund nun zu Übersprungshandlungen. Diese Handlungen (z. B. Kratzen) dienen dem eigenen Stressabbau, bereinigen jedoch die Bedrohungslage nicht, und diese Bedrohung kommt stetig näher.
Die letzte Option ist nun das offensive Verhalten - Entweder soll die Bedrohung dadurch wieder auf sichere Distanz getrieben werden, oder aber auch neutralisiert werden. Erfahrungen und Prägung des Hundes werden nun den Grad bzw. Verlauf der Aggression bestimmen.
In unserem Fall, bestand Harrys Reaktion in aggressivem Distanzdrohen (Drohung ohne Körperkontakt). Der Fahrradfahrer wurde fixiert und in der Regel war ein tiefes Knurren zu vernehmen. Und genau an dieser Stelle drösle ich nochmals die momentane Situation auf:
- Unsere Pflicht und Verantwortung zu diesem Zeitpunkt:
- Unter keinen Umständen darf es zur Gefährdung von Mensch und Hund kommen;
- Kontrolle der Situation und Deeskalation (alle Verhaltensweisen des Fahrradfahrers, welcher unbedarft und ohne die Sachlage zu erkennen weiter auf uns ”zuradelt”, führen aus Sicht des Hundes zur exponentiellen Eskalation seines natürlichen Aggressionsverhalten);
- Situationsbedingte Verhaltensmuster- u. Strukturen des Hundes erkennen (Problemerkennung u. entsprechende Beseitigung durch gezieltes Training).
- Unsere (zu diesem Zeitpunkt) Ausgangslage:
- Der Hund ist mit dieser Situation vollkommen überfordert;
- Es besteht kein signifikantes Vertrauensverhältnis zwischen ihm und uns;
- Er hat sich noch nicht unserem hierarchischen Familienverband angeschlossen.
Summa summarum ”erreichen” wir ihn nur bedingt.
Entsprechend wurde nun von uns umgehend interveniert, zumal die Situation durch den Radfahrer, dessen Passage nun unmittelbar bevorstand, unbewusst eskaliert wurde. Viele werden sich jetzt fragen, was den der
Radler mit der Eskalation zu tun hat, ist es nicht so?
Zum Verständnis müssen wir hierzu ”in das Fell unseres Hundes steigen”. Der Hund ”spult” nun in kürzester Zeit seine natürliche Kommentkampfaktionen ab. Mit der Aufnahme des Distanzdrohens, hatte er der
Bedrohung (dem Radfahrer) gezeigt, dass er erst einmal nicht weichen wird. Und alle aggressiven Kommentaktionen des Hundes werden vom Fahrradfahrer in keinster Weise ”beantwortet”, d.h. mit seiner dabei kommunikationslosen
fortgesetzten Annäherung, deutet er seinerseits in den Augen des Hundes die Bereitschaft zur gesteigerten Aggression an. Entsprechend ”schaltet” der Hund in die höheren Aggressionsstufen. Hatten wir bis zu diesem
Zeitpunkt mit Deeskalationsmaßnahmen zu langsam bzw. unzulänglich reagiert, so ging Harry ”nach vorne” in die Leine, wobei er seinerseits ebenfalls gesteigerte Aggressionsbereitschaft gegen die Bedrohung
signalisierte. In den ersten Monaten war es nun unabdingbar, Harrybo körperlich zu ”fixieren” und seinen Sichtkontakt zur Bedrohung zu unterbrechen.
Nach Monaten gezielten Trainings, vor allem aber auch durch die intensive Bindung des Hundes an sein neues Rudel, haben wir es erreicht, dass Fahrradfahrer, welche sich gemäß den Interpretationen aus grundlegenden Verhaltensmustern eines Hundes ”aggressiv” annähern, nicht mehr als Bedrohung eingestuft werden. Allerdings haben Bindung und Vertrauen, bzw. die dadurch erlangte Selbstsicherheit unseres Wegelagerers, den Fahrradfahrer als solches in ein anderes Licht ”gerückt”. Genaueres darüber erfahrt Ihr in der Thematik Bewegungsreize und Jagdverhalten.
Stufen der natürlichen Aggression des Hundes
Hunde schätzen ihre Gegner bzw. eine Bedrohung nach deren Drohsignale ein. Laut der Ethologin Frau Dr. Dorit Feddersen-Petersen führt die aggressive Kommunikation unter Hunden über drei Stufen - angefangen von der Drohung bis hin zur ungehemmten Beschädigung. Führt unter den Kontrahenten die jeweilige Eskalationsstufe zu keiner Erkenntnis darüber, welcher Aggressor der überlegene ist, so werden die Stufen des Drohverhaltens sukzessive eskaliert.
- Die erste Stufe der Aggression:
- Distanzdrohen: Fixieren, Zähneblecken, Knurren, ...;
- Distanzunterschreitung: Gelegentlicher Körperkontakt, gehemmtes Beißen, gezieltes Beißen, ....
- Die zweite Stufe der Aggression
- Körperkontakt: Über die Schnauze Beißen, Ringkampf...;
- Einschränkung der Bewegungsfreiheit: Queraufreiten, Über dem Gegner stehen, Herunterdrücken, Schieben, Abwehr auf dem Rücken,...;
- Die dritte Stufe der Aggression
- Gehemmte Beschädigung: Anrempeln, Anspringen, Vorstoßen, gehemmtes Abwehrbeißen, gehemmtes Beißen,...
- Ungehemmte Beschädigung: Beißen, Schütteln,....
Wir fassen zusammen
Die Gefährlichkeit eines Hundes kann keinesfalls pauschal an seiner Rassenzugehörigkeit festgemacht werden. Diesbezüglich existierende Rasselisten, welche bestimmte Hunderassen sogenannten ”Anlagen” zuordnen, halten keinerlei sach-, fachkundigen und wissenschaftlich fundierten Überprüfung stand. Und obwohl diese Rassenlisten selbst in Anhörungen vor dem Bundesverfassungsgericht ad absurdum geführt wurden, bleiben sie weiterhin zulässig - und vollkommen ungeeignet !
Fazit - es gibt keine gefährlichen Hunderassen, |
Aggressives Verhalten ist durchaus Teil des völlig normalen Verhaltens eines Hundes. Einzig und alleine durch seinen Sozialpartner Mensch ist es möglich, dieses Aggressionspotential beim domestizierten Haushund bewusst, oder, wie es in der Regel eher der Fall ist, auch unbewusst über das normale Maß hinaus zu steigern.
- Bewusste Steigerung des Aggressionspotentials
- Gezielte Dressur;
- Gezielte Zuchtauswahl besonders aggressiver Tiere.
- Unbewusste Steigerung des Aggressionspotentials
- Erziehungsfehler beim Welpen oder Erwachsenen Hund;
- Falscher, nicht artgerechter Umgang;
- Massenzucht - Vernachlässigung des Individuums.
Solche Tiere haben niemals gelernt, in artgerecht normaler Weise (Kommunikative Interaktion) auf ihre eigenen Artgenossen oder auch den Menschen zu reagieren. Viel zu pauschal wird diesen armen Kreaturen
Bösartigkeit angedichtet - doch jetzt weiß es der Leser besser, nicht wahr ?
Es sind schlichtweg verunsicherte Hunde. Ein unsicherer Hund fühlt sich nur allzu leicht bedroht, da er nichts einschätzen kann, was er nicht kennt. Zwangsläufig kommt es bei ihm zu Stressreaktionen. Hierbei können Angst und Aggression Hand in Hand gehen.
Und spätestens jetzt dürfte jedem Besucher hier, welcher sich bereits durch die Sektionen Erziehung und Gedanken zur Adoption geschnuffelt hat, klar geworden sein, warum ein verantwortungsbewusster artgerechter und
höflicher Umgang mit dem neuen Familienmitglied ”gebrauchter Hund” unbedingt Pflicht ist, nicht wahr ?
Je mehr Fehler im ”alten Leben” eures gebrauchten Hundes gemacht wurden, je schlimmer seine Erfahrungen mit der Spezies Mensch waren, desto länger dauern Integration und echte Bindung. Sein Vertrauen in Euch wird (und
muss) langsam wachsen, und bei jeder, für ihn als ”bedrohlich” bewertete Situation, muss er den artgerechten ”normalen” Umgang mit dieser Situation neu erlernen. Die Sicherheit im Umgang mit dieser Situation erhält er ausschließlich vom
Rudel bzw. von jenen Rudelmitgliedern, denen er zu diesem Zeitpunkt bereits vertraut. Ihr versteht nun auch, warum die Spaziergänge (Jagd- u. Streifzüge) mit einem verunsicherten Hund gerade während der ersten Wochen nach Übernahme so Viel von Euch und Eurem Hund fordern. Gut, wenn man
dabei dann auf Mitmenschen trifft, welche Verständnis für das Verhalten Eures Hundes währen dieser Zeit haben.
Und ich gebe an dieser Stelle durchaus zu, das es uns manchmal schon ein klein Wenig mit Stolz erfüllt, wenn man heute, in Anbetracht des liebenswürdigen, friedfertigen und (meist) folgsamen Graubart an unserer Seite von Passanten erfährt, dass diese noch aufgrund Harrys damaligen sehr ausgeprägten unsicheren Verhaltens in 2005, eine solche umfassende und komplette Veränderung zum Positiven für vollkommen unmöglich gehalten hätten.