Die Sache mit der Lerndisposition unseres Hundes
Eines gleich vorweg - ein allgemein gültiges Patentrezept zur Erziehung, etwa den ”Stein der Hundeweisen”, gibt es nicht
Das SITZ - bereits 2006 eine von Harrys leichtesten Übungen
Aber eine Tatsache steht definitiv fest:
Es ist möglich, auch einem erwachsenen Hund, trotz seiner durchlebten, manchmal auch (wie z. B. in Harrybos Fall) recht finsteren Vorgeschichte, mittels einer artgerechten sanften Erziehung, einen sehr guten, und vor allem auch recht zuverlässigen Gehorsam beizubringen. Und für die Anhänger aus den Fraktionen der Leinenrucker oder Befehlsbrüller sei hier noch kurz erläutert - Eine sanfte Erziehung impliziert in der Hundeerziehung keinesfalls die Methode:
”Wenn unser Hund nicht gehorchen will, bilden wir einen Kreis
und singen bzw. bellen fröhliche Lieder”
Vergleiche ich die heutige sanfte Erziehungsmethoden, auf welchen natürlich auch die Ausbildung unseres Bardinos (-Mix) Harry ”Schlumpes” fußt, mit den didaktischen Methoden der Begleithundeausbildung unserer Boxer Hündin Vesta (von der Hardenburg) auf dem Hundeübungsplatz 20 Jahre zuvor, so zeigen sich doch deutliche Unterschiede. Hier fallen mir gleich einmal das Fuß-Gehen, eingeleitet mit lautem
Kommando mit unterstützendem Leinenruck, oder das nahezu mit hysterisch überschlagender Stimme gebrüllte
bei, in einiger Entfernung abgelegtem Hund, ein.
Eine ruhige Ansprache, nebenbei bemerkt, besitzt der Hund die Fähigkeit einer hervorragenden akustische 3-D Ortung von Geräuschquellen, in Verbindung mit entsprechenden Sichtzeichen haben die harte und sehr laute Ansprache (Brüllerei ) und hektisches ”Herumgefuchtel” nahezu gänzlich ersetzt, und das bei mindest gleichwertiger Effizienz in der Ausführung.
Obacht am Gleis beim HIER Kommando - der Albtalexpress donnert heran
So ist zum Beispiel unter der natürlichen Geräuschkulisse des Herbstwaldes, ein laut gesprochenes ”Hier” (gesprochen = weder geschrien noch gebrüllt), bei gleichzeitig gehobenem Arm als Sichtzeichen, vollkommen ausreichend, um über eine Entfernung von ca. 20m den ”Albtalexpress” Harry zu unserer Position hin ”umzuleiten”.
Auch die damals gängigen lauten und derben ”Korrekturmaßnahmen” im Falle des unaufmerksamen Hundes, haben in der modernen sanften Hundeausbildung nichts mehr verloren.
Adoptiert man einen ”gebrauchten” Hund, so kommt im Gegensatz zum Welpen vom Züchter ein gewichtiger Faktor zur Hundeerziehung hinzu: Der Hund hat seine individuelle Geschichte. Der Verlauf seiner Sozialisierung und der Prägungsphasen sind oftmals unbekannt. Und deren Auswirkungen können durchaus erst in besonderen Situationen ganz unerwartet ans Tageslicht kommen. Und Wehe dem Hundeführer, der hier seine Erziehung auf einem Bestrafungsprinzip aufgebaut hat!
An dieser Stelle gleich ein diesbezügliches Beispiel (Februar 2006):
Harry war schon einige Monate bei uns und der Aufbau eines Vertauensverhältnisses war bereits in einem fortgeschrittenen Stadium. Auf einem Waldspaziergang war meiner Frau Anja ein
Steinchen in den Schuh gerutscht. Also zog sie den Fuß hoch, um den Quälgeist mit den Fingern rauszupuhlen. Harry wurde wohl von dieser Bewegung überrascht, sprang zur Seite, zog knurrend die Lefzen hoch und
ging unmittelbar in Drohhaltung über. Allerdings entspannte er sich sofort wieder und kam umgehend mit positiven Körpersignalen angetrabt.
Hier hatte
eine ganz banale Situation unseren Harry für wenige Sekunden in Verhaltensmuster aus seinem früheren Leben zurückfallen lassen. Gut das unser Vertrauensverhältnis schon soweit fortgeschritten war, das letzte Überbleibsel alter
Verhaltensmuster sofort durch neue und bereits etwas verinnerlichten Verhaltensstrukturen ”überrannt” wurden.
Wir wissen, das die Domestikation des Hundes sehr weit fortgeschritten ist. Diese, über viele Generationen andauernde, Domestikation des Hundes durch den Menschen, hat nicht etwa zu einer ”Vermenschlichung” des Hundes (der übrigens auf eine längere Evolutionskette zurückblicken kann als wir selbst) geführt, sondern er denkt unverändert in den eingeprägten Strukturen und Mustern seiner Art. Allerdings hat diese lange andauernde Domestikation gegenüber seinen wilden Artverwandten nachweislich zu genetischen Veränderungen geführt, die es ihm ermöglichen, über eine entwickelte Interpretationsfähigkeit menschlicher Signale und Zeichen erheblich besser mit Vertretern unserer Art kommunizieren zu können .
Gelingt es nun, diese, mehr oder weniger entwickelte, Interpretationsfähigkeit mit den spezifischen Verhaltensstrukturen unseres adoptierten ”gebrauchten” Hundes zu verknüpfen, so hat man den Einstieg zur hundegerechten Erziehung gefunden. Fehlt uns also nur noch der Zugriff auf seine Lerndisposition.