Rudelführer oder (Hof-) Rudelnarr, das ist hier die Frage
Der Haushund ist auf hierarchische Sozialstrukturen geprägt. Kommt unser gebrauchter Hund in den Familienverband, so wird er sich dementsprechend ”einordnen” - allerdings hat er hierbei seine eigenen Vorstellungen von bestehender und künftiger Rangordnung. Sein ”altes” Leben hat ihn geprägt, und er wird entsprechend dieser individuellen Prägung ”seinen Platz” einfordern. Gelegentlich findet man diesbezüglich in der Literatur die Aussage, dass sich der Hund dem Menschen im Verband gar unterordnen möchte - ich bezweifle das
Na klar - Du bist hier ganz bestimmt
der Chef!
An dieser Stelle möchte ich gleich mal eine weitläufig verbreitete Meinung ins Feld führen, welche insbesondere von etwas ”schlichteren Gemütern” vertreten wird - da der Hund vom Wolf abstammt, ist er stete knallharte Ansprache vom Rudelführer gewohnt. Jegliches vermutetes Aufbegehren ist sofort im Keim zu ersticken, sonst würde ja die Rangfolge gekippt werden. Je härter hier untergebuttert wird, um so schneller prägt sich der Hund seinen Platz in der Rangordnung dauerhaft ein!
Diese Weisheit, welche ich übrigens vor langer Zeit aus den Reihen von diversen Ausbildern und Haltern des wohl
am weitesten verbreiteten deutschen Hütehundes mitgenommen habe, ist natürlich, mal gelinde ausgedrückt, |
Wie hat es Günther Bloch in einem Interview zur Thematik Rudelführung aufs Trefflichste ausgedrückt: ”Wäre ein solches Verhalten im Wolfsrudel tatsächlich an der Tagesordnung, so würde es heute gar keine Wölfe mehr geben. Tatsächlich ist das Sozialverhalten der Wölfe viel zu hoch entwickelt, um sich durch solch simplen menschlichen Interpretationen auch nur annähernd beschreiben zu lassen. Durch ein solch aggressives Ordnungsdenken würden jegliche effektive Jagd- u. Familienstrukturen überhaupt nicht zustande kommen, und sie wären in logischer Konsequenz zwangsläufig verhungert und ausgestorben.”
Euer neues Familienmitglied hat also seine eigenen Vorstellungen hinsichtlich seiner künftigen Position. Und es kommt noch besser - zudem ist der Hund, je nach Rasse und Vorgeschichte mehr oder weniger ausgeprägt auch noch dazu in der Lage, unsere Stimmungen und Gefühle zu spüren und zu interpretieren. Hat man einen schweren Arbeitstag hinter sich und ist entsprechend ”platt”, wird er es trotz unserem Versuch fit und fröhlich zu erscheinen, problemlos erkennen. Er registriert jede Einzelne unserer unbewussten Stimmungsschwankungen (Nonverbale Signale). Dementsprechend spürt er die essentiellen Formen von Emotionen und Gefühlen wie z. B. Angst schon aus weiter Entfernung. Diese evolutionsbedingten Fähigkeiten dienen tatsächlich der Effizienz und somit dem Überleben eines Rudels.
Die artgerechte Erziehung eines gebrauchten Hundes ist ein steter Lernprozess für Mensch und Hund. Ach ja, und ist der Rudelführer von heute auch noch der Rudelführer von morgen?; Das zu entscheiden liegt letztendlich an Euch und Eurer Erziehungsmethode. Hier noch ein paar diesbezügliche ”Hausnummern” zur Verinnerlichung:
Wer seinem Hund Kommandos um die Ohren brüllt um ihn zu beeindrucken, wird in Richtung untere Hierarchie durchgereicht. Dieses ”Bellen” wird durchaus vom Hund (der nebenbei bemerkt, hinsichtlich des hörbaren Bereichs ein deutlich breiteres Frequenzspektrum als der Mensch wahrnehmen kann, und auch in der örtlichen Detektion akkustischer Signalquellen dem menschlichen Gehör signifikant überlegen ist) als Unsicherheit interpretiert, und beeindruckt einen selbstsicheren und charakterstarken Hund in keinster Weise.
Eine gleichzeitige Untermauerung dieser Unsicherheit durch körperliche Gewalt (z.B. Schlagen, Beuteln), führt zur Demotivation des Hundes und zerstört zusätzlichen jegliches Vertrauensverhältnis. Eine auf Gewalt basierende Rudelführerposition steht auf fragilem Fundament. Die Folgen im Alltag können durchaus katastrophal für Mensch und Tier sein.
Unser Vierbeiner wird stets versuchen, seine Spielräume zu erweitern. Auch hier garantieren fehlende Konsequenz und Nachlässigkeiten in der Erziehung für den Hundebesitzer die Ansiedelung in den unteren Rangplätzen.
Der Rudelführer aus Sicht des Caniden
Die menschliche Definition des Rudelführers ist nun bekannt. Wir vergleichen nur all zu gerne Rudelstrukturen der Caniden mit unseren eigenen artspezifischen ethnologischen Strukturen wie z. B. der Verwandtschaftsgruppe Familie. Der Hund kommt in unsere Familie, also hat er sich unserem Rudelverständnis nicht nur anzupassen, sondern sich auch noch diesem Verständnis unterzuordnen. In der Tat eine typisch menschliche Sichtweise der Dinge und somit leider auch ein gravierend falscher Ansatz hinsichtlich der Integration unseres gebrauchten Hundes.
Dieser Fehler resultiert in der Regel aus einer falschen Interpretation der Domestikation des Haushundes. Hierbei hat der Haushund die Fähigkeit zur Interpretation menschlicher Signale entwickelt, er denkt jedoch, wie bereits erwähnt, nach wie vor in seinen eigenen artspezifischen Strukturen. Auch wenn es manchmal den Anschein hat, versteht er tatsächlich kein Wort von dem, was wir ihm mittels der Kommunikationsform Sprache erzählen. Vereinfacht kann man sagen, er interpretiert Hör- u. Sichtzeichen in Verbindung unserer nonverbalen Signale als eine Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten seinerseits, das ihm allerdings persönliche Vorteile einbringen sollte.
Das Verständnis seines individuellen Vorteilsdenken in Verbindung mit seinem artspezifisch eingeprägten Sozialverständnis hierarchischer Rudelstrukturen ist einer der essentiellen Schlüssel zur Integration unseres Vierbeiners in unseren Familienverband, bzw. generell in ein Umfeld der menschlichen Gesellschaft, sowie zu seiner artgerechten Erziehung.
An dieser Stelle möchte ich gleich noch einen kleinen weit verbreiteten Irrglauben ausräumen - dem Glauben dass der domestizierte Haus Hund im Mensch seinesgleichen, also einen artverwandten Caniden sieht. Das ist ebenfalls
schlichtweg falsch!
Er erkennt im Menschen, mal so richtig vermenschlicht ausgedrückt, zwar eine artfremde Spezies, diese jedoch in der Interaktion mit ihm Verhaltensweisen aufweist welche ihm wiederum vertraut sind, besser ausgedrückt, welche seinem ureigenen Instinkt entsprechen. Als Beispiel seien hier mal die Kommunikation, welche seiner Interpretationsfähigkeit nonverbaler Signale entgegenkommt, oder auch der hierarchisch strukturierte Rudelverband einer Primaten Familie, welcher in gewissem Rahmen seiner hierarchischen Prägung auf einen Caniden Rudelverband entspricht, genannt.
Zuerst müssen wir unsere Sicht von menschlichen hierarchischen Strukturen ein klein wenig auf die Rudelstrukturen der Caniden korrelieren. Im geschlossenen Verband eines Rudels hat ein jedes Mitglied Aufgaben und individuelle Funktionen zu erfüllen, die dem Wohl und Fortbestand des Rudels dienen. Der Hund erwartet diesbezüglich in seinem neuen Rudel entsprechende Anforderungen an ihn -
Er kann gar nicht anders
Und genau hier müssen wir, der Mensch, unbedingt die Weichen stellen. Im natürlichen Rudel der Caniden geht es nicht darum, eine ranghohe Position zu begleiten, um die darunter positionierten Ränge zu ”beuteln” (ein eher typisch menschliches Streben), sondern die Positionen werden mit dem diesbezüglich effektivsten Mitglied besetzt. Ist ein Hund nun der Meinung, diese Besetzung gereicht dem Wohl des Rudels zum Nachteil, so wird er intervenieren und versuchen, diese Position selbst zu übernehmen, da er sie seiner Meinung nach besser ausfüllen kann - Er ist diesbezüglich genetisch ”programmiert”. Wir müssen ihn durch Taten und Leistungen überzeugen, dass wir den Familienverband effektiver führen können als er es kann. Und das müssen wir Tag für Tag erneut unter Beweis stellen!
Ist unser Hund davon überzeugt, dass sein Mensch das Rudel optimal führen kann, und er auf seiner Position die ideale Besetzung seiner Aufgaben ist, so werden Rang- Infragestellungen der Führung seinerseits nur mit geringer Motivation stattfinden. Aber nie vergessen, er wird stets daran arbeiten, seine Spielräume zu erweitern
Rechte und Pflichten des Rudelführers
Inzwischen wird wohl jedem Leser klar geworden sein, auf welch komplexem Fundament die artgerechte und sanfte Erziehung des Hundes steht. Ebenso einleuchtend ist andererseits die gewaltige Effizienz und die daraus in logischer Konsequenz resultierende Zuverlässigkeit dieser natürlichen Erziehungsform.
Stellt sich nun natürlich die Frage nach der menschlichen Umsetzung des Anspruches auf die Rudelführung, so dass diese auch von unserem Caniden als solche anerkannt wird. Diesbezüglich haben wir von unserer Hundekunde- Trainerin Dorothee Schneider wertvolle Tipps zur Verbesserung unserer, bis dato schon recht annähernd vorhandenen, artgerechten Struktur unseres kleinen Rudels erhalten. Auch die Veröffentlichungen des Holländers Jan Nijboer untermauern diese folgenden, in sich schlüssigen, Grundgedanken.
Eine möglichst artgerechte und sanfte Erziehung des Hundes setzt die folgenden Grundlagen als vorhanden voraus:
- Es besteht ein signifikantes Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Hund;
- Der Mensch ist mit den grundlegenden Verhaltensstrukturen des Hundes vertraut;
- Auch ist der Mensch mit den Grundlagen der Kommunikation unter Hunden vertraut;
- Der Mensch muss in der Lage sein, seine Familienstrukturen hinsichtlich der natürlichen sozialen Bedürfnisse des Hundes entsprechend zu korrelieren.
Die Kopplung unserer menschlichen Alltagsstrukturen mit den natürlichen Instinkten unseres Caniden gelingt am einfachsten über unsere gemeinsamen nativen Bedürfnisse (Familie - Rudel, ist neben Jagdgemeinschaft oftmals auch Familienverband). Wir haben ein Heim (~ Höhle, Ruhelager, Versteck); wir müssen Nahrung besorgen (~ Jagd, Nahrungssuche); wir gehen aus (~ Reviergänge und Nahrungssuche); wir erziehen unsere Kinder (~ Welpenaufzucht) und wir haben Freizeitaktivitäten (~ Jagdspiele, Kräftemessen, Raufen).
Die Jagd
Es gibt keinen Hund, welcher den Spaziergang in den Genen hat. Aus Sicht des Hundes ist der Gassi- Spaziergang mit dem Menschen absolute Zeitverschwendung und schlichtweg typisch Mensch. Der Hund verlässt sein Lager nur zu Streifzügen, die der Jagd und Nahrungssuche dienen. Der Rudelführer eröffnet und führt den Jagdzug. Weiterhin wird der Beuteanteil ausschließlich vom Rudelführer zugeteilt. Dieser Anteil an der Beute muss sich der untergeordnete Canide verdienen!
Die Fährte wird aufgenommen
Ein Nachgeben des Rudelführers auf die Manipulationsversuche unseres Vierbeiners während der Nahrungszuteilung ("ooooh, schau mal wie lieb er schaut...") wird vom Hund durchaus als ein Indiz für Schwäche interpretiert.
Die Harrybos rücken aus:
Die Bewegungsart (Herumschlendern passt hier kaum in das Schema eines Hetzjägers ) sowie nonverbale Kommunikation des Rudelführers muss Jagdstimmung (so weit als möglich) wieder spiegeln, die sich auch auf den Hund überträgt. Tempowechsel, stetes Kontakthalten und häufige Ansprache über Hör- u. Sichtzeichen zur Koordination sind selbstverständlich.
Wir bauen Gehorsamsübungen in die Streifzüge ein (Leckerli = Belohnung ausschließlich für exakte Ausführung). Gegenstände wie Bällchen, Kong oder Frisbee werden gesucht, apportiert oder auch aufgefangen. Den Beuteanteil gibt es auch hier stets nur nach der Übergabe der gefundenem oder gestellten Gegenstände an den Rudelführer. Angelegte Beutedepots stellen für unseren vierbeinigen Räuber ebenfalls eine begehrte Abwechslung dar. Es werden Balanceaktivitäten (Baumstämme) Gelände- oder Bachquerungen (Nein, nicht über die Brücke ) in die Streifzüge eingebaut.
Ob und wieweit es uns gelungen ist, so etwas wie Jagdstimmung auf Uns Harry zu übertragen, ist relativ leicht zu erkennen. In diesem Falle ist eine gewisse Körperspannung am Hund zu erkennen, er wirkt irgendwie ”schlanker”. Trabt er frei, so hält er von sich aus steten Kontakt zu uns (Ohrenstellung, Sichtkontakt) und bleibt von sich aus stets in unmittelbarer Nähe. Es genügen (meistens ) unmerklichste Hör- Sichtsignale unsererseits, um den Hund selbst über mehrere Meter Distanz unverzüglich inne halten zu lassen, ihn heranzuholen oder ihm eine Richtungsänderung mitzuteilen. Er beobachtet ohne Unterlass aufmerksam die Umgebung, prüft des Öfteren die Luft und Gelände auf mögliche Fährte.
Hinsichtlich der argerechten Ernährung führen wir unseren Caniden auch gerne mal zu Fallobstdepots (Äpfel und Birnen) oder ähnlichen Quellen mit pflanzlichem Nahrungsangebot. So stellt beispielsweise aktives Beerenpflücken eine willkommene und artgerecht gesunde Abwechslung dar. Und nebenbei bemerkt, ein Hund, der sich hingebungsvoll dem Beerenpflücken widmet, ist ein äußerst knuffiger Anblick
Im Lager
Wie bereits in der Sektion Verantwortung aufgeführt wurde, teilt der Rudelführer auch hier die Ressourcen (z.B. Liegeplätze, Nahrung, Aufgaben) zu. Hier gestatten wir Uns Harry durchaus einige Freiräume. So darf er z. B. auf dem Sofa schlafen (=strategisch erhöhter Platz), was er gelegentlich in Anspruch nimmt. Manchmal gehen wir auch auf Aufforderungen seinerseits zum Spiel ein. Auch Rituale, wie der Pansenstick nach dem letzten Gassi- Gang sind akzeptiert. Die Umsetzung des artgerechten Umgangs erlaubt diesbezüglich durchaus einige Freiräume. Da wir allerdings sehr intensiv mit unserem Caniden leben, halten wir hierbei die hierarchische Struktur stets im Blick und intervenieren entsprechend bei Bedarf. Unser Weg einer möglichst artgerechten Haltung bestätigt sich in dem daraus resultierenden harmonischen Rudelleben bei anerkannten klaren Führungsstrukturen, als eine durchaus akzeptable Form der Umsetzung.