Die grundlegende Physik vom Biss
Aus der Anatomie des Karnivorengebisses wird schnell offensichtlich, dass die Beißkraft für einen Karnivoren, wie etwa unseren Caniden, von essentieller Bedeutung ist. Der erwachsene Hund besitzt, im Gegensatz zum Welpen (28), normalerweise 42 Zähne.
Zahnformel erwachsener Hund
Diese Zahnformel ist schnell erläutert:
Im ”Zähler” werden für jede Oberkieferhälfte, beginnend von vorne (links) die Zähne funktionell durchgezählt. Dementsprechend besitzt der Hund pro Kieferhälfte oben 3 Schneidezähne (Incisivi), 1 Eckzahn (Caninus), 4 vordere Backenzähne (Prämolaren) und 2 Backenzähne (Molaren). Im Nenner, der zugehörigen Unterkieferhälfte, wird der Unterschied in der Anzahl der Backenzähne offensichtlich. Während Schneide- und Eckzähne vorwiegend dem Beutegriff dienen, werden die Backenzähne zum Zerteilen der Beute eingesetzt. Hierbei ist zu beachten, dass im Oberkiefer jeweils der Prämolar Nr.4, im Unterkiefer der Molar Nr.1 zum besonders kräftigen Reißzahn ausgebildet ist, und P4 des Oberkiefers, ebeso wie dessen Gegenstück M1 des Unterkiefers, wie eine Schere ineinandergreifen. Die Funktion dieser Anordnung wird durch die Benennung dieser Zähne eineindeutig beschrieben.
Die Märchen
Doch zurück zur Beißkraft. Deren Bedeutung ist im starren Kiefergelenk des Hundegebisses begründet. Im Gegensatz zu unserem Primatengebiss, mit welchem wir dank beweglicherem Kiefergelenk auch mahlende Bewegungen ausführen können (und unbedingt auch sollten ;-)))), lässt sich das Hundegebiss nur öffnen und schließen. Somit definiert sich die Funktion recht einfach - Nahrung (Beute) fixieren bzw. aufnehmen, mit den Backenzähnen zerreißen und zerteilen, um anschließend die Beutebrocken zu verschlingen. Somit erklärt sich auch das hoch saure Verdauungssystem, die fehlenden Verdauungsenzyme im Maul und nicht zuletzt auch die Bedeutung einer biologischen, artgerecht- und rohen Fütterung des Hundes.
Zum Zerreißen der Beute mittels der (Brech-) Scherenanordnung und
Molaren im Kiefer, muss unser Carnivor zweifellos dazu in der Lage sein, hohe Kräfte
aufbringen zu können. Also hat der DSH-Kollege in Latzhose sogar
teilweise recht. Doch streichen wir nun Stammtischparolen
aus dem Vereinsheim und setzen stattdessen grundlegende Physik, genauer
gesagt grundlegende Kinematik.
Eine beeindruckende "Brechschere"
Enhydrocyon basilatus (Cope, 1879), 25..21 Mio. Jahre
Einer der ersten Caniden mit kräftiger
molaren Scherenstruktur (Knochenbrecher)
Enhydrocyon basilatus besaß in etwa die Größe eines kleinen Wolfes. Mit kerniger Bisskraft ausgestattet, war Enhydrocyon basilatus einer der frühen Vertreter der Canidae (Familie der Hunde, Fischer 1817), welcher in der Lage war, mittels dieser Scherenanordnung Knochen zu zerteilen.
Mal abgesehen von der gewaltigen Bandbreite an Stammtischparolen hinsichtlich einer Tonnen-Beißkraft, so gibt es nur sehr wenige diesbezügliche qualifizierte und dementsprechend auch belastbare Studien zur Beißkraft des Hundes.
Die Aussage, dass ein Hund eine Beißkraft von 2 Tonnen besitzt, ist von vorne herein ”Kappes”, da es sich bei ”Tonnen” um eine Maßeinheit der Masse, und nicht der einer Kraft handelt. Masse ist die Eigenschaft jeder Materie, träge und schwer zu sein. Die SI- Einheit der Kraft ist das Newton, wobei 1 N(-ewton) diejenige Kraft definiert, welche benötigt wird, um einem ruhenden Körper mit einer Masse von 1 kg eine Beschleunigung von 1 m/s² zu erteilen.
Wie im obigen Bild dargestellt, muss hierzu das Hundegebiss als physikalischer einseitiger Hebel gesehen werden. Die Komplexität der zugehörigen Mathematik wird alleine durch die Momentaufnahme an einem definierten Punkt P an der Zahnfläche hinsichtlich einer möglichen Kräfteverteilung, zum Zeitpunkt tx über einen Zeitraum dt betrachtet, offensichtlich. Die Auflösung der beteiligten Oberflächenstrukturen geht ebenso mit in die Berechnungen ein, wie es bei den beteiligten Massen der Fall ist. Kurzum - Mathematik vom Feinsten ;-)))
Eine diesbezügliche interessante und vor allem fundierte Studie zur Beißkraft, sowohl rezenter als auch ausgestorbener Säugetiere, wurde an der Universität von Sydney erstellt (Dr. Stephen Woe et al., 2006). Da man in dieser Studie verschiedene Taxa miteinander vergleichen wollte, war es unabdingbar, allgemeingültige Zusammenhänge zu definieren, welche sich allgemeingültig von Taxon zu Taxon plausibel übertragen ließen. Um den untersuchten Vertretern aus verschiedenen Taxa nun eine aussagefähige statischen Beißkraft (Bs) zuordnen zu können, wurde das Gebiss als physikalischer Hebel betrachtet (In etwa unserem obigen Beispiel entsprechend). Aus Kieferdimensionen und Strukturen in Verbindung mit Kiefermuskulaturen wurde ein Beißkraft Quotient (BFQ) kalkuliert, aus welchem man letztendlich auf die statischen Bisskraft (Bs), bezogen auf die Körpermasse, rückfolgern kann. Nach dieser so genannten ”Dry Scull Method” (Thomason 1991, Anhang A und B) wurden nun 49 Spezies aus 39 Taxa (31 rezent, 8 ausgestorben) untersucht.
Ein kleiner Auszug aus den dokumentierten und wissenschaftlich anerkannten Ergebnissen dieser Studie, dürften unseren gar kühnen DSH-Hundeführer wohl etwas entsetzen, aber Fakt ”sticht” stets ”Stammtischweisheit”!
Art | Wissenschaftlicher Name | Familie | Absolute Beißkraft [N] | Relative Beißkraft |
---|---|---|---|---|
Löwe | Panthera leo | Katze (Felidae) | 1768 | BFQ 112 |
Tiger | Panthera tigris | Katze (Felidae) | 1525 | BFQ 127 |
Wolf | Canis lupus | Hunde (Canidae) | 593 | BFQ 136 |
Tasman. Teufel | Sarcophilus harrisii | Raubbeutler (Dasyuridae) | 418 | BFQ 181 |
Wildkatze | Felis sylvestris | Katze (Felidae) | 56 | BFQ 58 |
Beutellöwe | Thylacoleo carnifex | Beuteltiere(Thylacoleonidae) | 1692 | BFQ 194 |
Quelle: Robert Czepel, ORF
Die Bedeutung des BFQ wird offensichtlich, wenn man den Löwen mit dem ausgestorbenen Beutellöwen vergleicht. Während der Löwe mit ca. 290 kg Körpergewicht mit 1768 Newton recht ordentlich ”Druck” mit dem Kiefer aufbringen kann, bringt es der kleinere Beutellöwe auf stattliche 1692 Newton. Der Knackpunkt liegt nämlich darin begründet, dass dieser Räuber, welcher vor etwa 50000 Jahren ausgestorben ist, ”lediglich” 110 kg bis 160 kg auf die Waage brachte.
Rekonstruktion für die University of Melbourne und die La Trobe University
© derStandard.at
Dieser hoch spezialisierte Fleischfresser besaß unter allen bekannten Säugetieren die am stärksten ausgebildeten Reißzähne. Eine gewaltige Ausbildung der Kaumuskulatur in Verbindung mit einer gewaltigen molaren Brechscherenstruktur begründen diese nahezu unglaubliche Bisskraft, mit welcher dieser Beutellöwe tatsächlich in der Lage gewesen wäre, einen menschlichen Arm zu durchtrennen.
Eine Brechschere par excellence
© derStandard.at
Ach ja, und wie war das mit den erklärten unglaublichen 2000 kg Gewichtskraft im DSH-Kiefer?
Der Urahn Canis lupus unserer Haus Hunde Canis lupus familiaris hat diese Frage im Test wohl bereits ausreichend beantwortet ;-)))
Tja liebe Besucher, damit geht das Märchen von der Tonnen-Beißkraft des Haushundes langsam zu Ende, und wir verwahren diese Tonnen-Beißkraft wieder dort, wo sie hingehört -
In der Märchentruhe auf unserer der gebrauchte Hund.
Und wenn sie nicht vergessen wurde, dann treibt sie auch heute noch in Politikerköpfen, an Stammtischen oder auch Sensationspresse ihr Unwesen,
Die urgewaltige Tonnen-Beißkraft vom Hund
Fin
Falls Dich dieses Thema und die Ausführungen angesprochen haben, dann sag es weiter - DANKE!
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