Bardino-Husky Harry im neuen Heim
Ab sofort wurde unser Obergeschoss zum Rückzugsgebiet der Katzen erklärt, und war somit für Harry tabu. In logischer Konsequenz habe ich in der ersten Woche meine Nächte auf dem einen Sofa im Wohnzimmer verbracht, während das Andere zu seinem Lagerplatz wurde (Ja, ja - der hierarchische Aspekt ).
Der Beginn einer innigen Freundschaft - Harry und Mr. Gelb I.
War er noch in den ersten Nächten fast stündlich aus dem Schlaf aufgeschreckt, wobei meine Anwesenheit offensichtlich eine beruhigende Wirkung auf ihn hatte, was er meistens mit einer ordentlichen "Schlabberdusche" belohnte - und eine Bardinozunge ist nicht klein
so wurden die folgenden Nächte mehr und mehr von einem unterbrechungsfreiem Schnarchkonzert geprägt. In der Folgewoche wurde die "Nachtwache" von meiner Frau übernommen und im Laufe der dritten Woche wurde offensichtlich, dass wir unseren Bub von nun an mit ruhigem Gewissen alleine schnarchen lassen konnten.
Die ersten Reviererkundungen an der Schleppleine
In der Wohnung war Harry aufmerksam, gelegentlich verspielt (von seiner diesbezüglichen stürmischen Art waren die Katzen allerdings nicht sonderlich begeistert), ansonsten aber recht ruhig. Draußen in der weiten Welt wurden Wald und Flur ausgiebig erschnuffelt. War man alleine mit ihm unterwegs, so konnte man eine auffällige Leinenführigkeit beobachten. Weiterhin war das Fehlen echter Emotionen deutlich zu spüren. Trafen wir einen Hund, wurde, unabhängig davon ob Rüde oder Mädel, recht ausgiebig gespielt und getobt, ansonsten wurde jedoch alles verbellt, was uns entgegenkam oder gar passierte und nicht zur Familie Canidae (Hunde) gehörte. Ob Auto, Fahrrad, Fußgänger, Jogger oder gar spielende Kinder - Harry hing stets tobend in der Leine und nahezu jeder Spaziergang wurde so zum Spießrutenlauf.
Es war offensichtlich, das unser Hund Probleme hatte, und vor uns Fünfen ein gerüttet Maß an Arbeit lag. Die Erstvorstellung beim Tierarzt nach dieser Eingewöhnungswoche sollte dem Ganzen noch Einen oben drauf setzen - Harry' s medizinischer Gesundheitszustand gab ebenfalls Grund zur Sorge. Nachdem eine gründlichere Eingangsuntersuchung aufgrund der Aggressivität eines panischen Hundes vollkommen unmöglich war, stellte uns die Tierärztin wortwörtlich die folgende Frage:
Wir werden wohl niemals diese erste gemeinsame Woche mit Harry mitsamt des ersten Tierarztbesuchs als krönenden Abschluss vergessen. Aber eines stand unabdingbar fest - in den vergangenen 40 Jahren haben wir niemals, und auch wenn die Umstände mal schwierig geworden waren (z. B. Umzug unter Zeitdruck und Tierhaltung), ein uns anvertrautes Tier aufgegeben und damit auch verraten, und bei Harry würden wir bestimmt nicht mit unserer Lebensphilosophie brechen. Dementsprechend wurde umgehend die dringend notwendige OP festgelegt und ein Heil- u. Therapieplan erstellt. Die Tierhilfe wurde über den aktuellen Gesundheitsstatus ihres ehemaligen Schützlings informiert und beteiligte sich vereinbahrungsgemäß an den Tierarztkosten auf Harry' s Weg der Genesung.
Harrys Erfahrungen in Menschlichkeit - sein medizinischer Befund
Die medizinischen Akten unseres kleinen tapferen Mannes waren uns vom Tierschutz übergeben worden. Nach der Erstuntersuchung bei unserem Tierarzt stand nun zudem aus medizinischer Sicht fest - Harry hatte Schmerzen.
- Gewicht 29 kg (ca. 7 kg unter Idealgewicht);
Gesundheitsstatus:
- Akuter Hefepilzbefall in beiden Ohren;
- Nabelbruch;
- Oberflächliche Pyodermie;
- Fell stark ausgedünnt, mit signifikanten kahlen Flächen, Haut teilweise schon nach Nekrose ledrig vernarbt;
- Bleibendes umlaufendes Kettenmal am Hals;
- Fangzähne (C1) rechts- und linksseitig im Unterkiefer wurden vorderseitig barbarisch mit einer Feile bis auf Wurzel abgefeilt (auf den Kanaren wohl eine übliche Prozedur an Hütehunden);
- Alle Schneidezähne (I1.. I3) rechts- u. linksseitig im Unterkiefer verfault bzw. zerstört;
- Leishmaniose-Titer grenzwertig (Konnte nach erneuter Laborbefundung widerlegt werden, allerdings trat an seiner Stelle nun der Verdacht auf Borreliose).
Ruh dich aus kleiner Mann
Der miserable Zahnstatus, die akute Ohrenentzündung, der schlechte Zustand von Fell und Haut in Verbindung mit teilweise grenzwertigen Parametern im Blutbild und nicht zuletzt das Verhalten unseres Hundes, veranlassten den Tierarzt, uns auf die Möglichkeit von eventuell dauerhaft notwendigen Langzeittherapien- oder auch Medikamentierungen vorzubereiten.
Vom ”wahren Harry” und einem zarten Pflänzchen namens Vertrauen
Die OP verlief bestens, und Harry wurde langsam schmerzfrei. Nach mehreren darauffolgenden Laboruntersuchungen konnte letztendlich eine Ansteckung mit Mittelmeer- und heimischen Infektionskrankheiten doch noch ausgeschlossen werden. Die Therapien hinsichtlich der Ohreninfektionen und der Haut- u. Fellprobleme dauerten noch viele Wochen. Auch wenn wir aufgrund des zu diesem Zeitpunkt fehlenden Vertrauensverhältnisses in Verbindung mit seinen traumatischen Erfahrungen durch erlittene Misshandlungen manch unorthodoxe Umsetzungsformen dieser Therapien einfallen lassen mussten, ging es aus medizinischer Sicht stetig aufwärts.
Das Futter wurde auf BARF (Biologisch Artgerechtes Rohes Futter) umgestellt, was ebenfalls einen signifikanten positiven Einfluss auf seine Regeneration mit sich brachte. Und Harry begann endlich Gewicht zuzulegen. Alarmiert durch eine sich linksseitig der Kruppe schnell entwickelnde faustgroße ”Delle”, folgten weitere ärztliche Untersuchungen. Hierbei stellte sich heraus, dass man Harry an dieser Stelle vor langer Zeit wohl mit einem schweren Stock oder einer Stange ordentlich einen ”übergezogen” haben musste, so dass Gewebe und Muskulatur geschädigt worden waren. Allerdings war nachzuweisen, dass die Motorik dadurch heute nicht mehr beeinflusst wird, und er keinerlei Schmerzen hat. Durch den Aufbau der Muskulatur war diese alte Schädigung nun wieder sichtbar geworden.
Neue Freunde sind gefunden - Imke mit Toni und Ivi
Vom ersten Tag an haben wir daran gearbeitet, über Gesten und Sprache mit ihm zu kommunizieren, und somit einen Zugang zu Harry aufzubauen. Trotz unserer bis dato recht ordentlichen Erfahrung in der Erziehung und dem Umgang mit Hunden, mussten wir uns eingestehen, dass unser ca. 7 jähriger Bardino- Rüde aufgrund seiner Vorgeschichte eine ganz besondere Herausforderung darstellte, und wir entsprechend unseren Horizont hinsichtlich unserer Kenntnisse der Hundekunde ordentlich auffrischen bzw. auch erweitern mussten
Nach den ersten Wochen waren wir nun in der Lage, das Profil unseres neuen Familienmitgliedes annähernd korrekt zu definieren - Harry war (und ist) ein recht natürlicher Hund, in dessen Verhalten sich vieles von dem seiner wilden Artverwandten widerspiegelt. Gegenüber Artgenossen hat er ein artgerechtes und rassetypisches sehr gutes Sozialverhalten, gegenüber anderen Tieren folgt er seinen Genen. Aufgrund seiner Vorgeschichte hat (hatte) er mit fremden Menschen offensichtliche Probleme, wobei bald klar geworden war, dass es sich hierbei nicht um blanke Aggressivität (Möglicherweise eine Reaktion auf erlittene Misshandlung), sondern eher um ein, auf Unsicherheit basierendem, ”Nach vorne Gehen” handelte. Außerdem ließen sich diverse Beute- und Jagdverhalten erkennen. Über die Abgrenzung von echtem Jagdtrieb und Reaktion auf Bewegungsreize, wie sie für Hütehunde typisch ist, lies sich zu diesem Zeitpunkt bestenfalls spekulieren. Er ist sehr lernbegierig, beobachtet aufmerksam und besitzt eine beinahe unheimlich schnelle Auffassungsgabe.